09 Juni 2013

worte wie heu

Genannt sei die Knäkente (Anas querquedula). Der Name dieses Vogels, der wohl seine Lautäußerungen widerspiegelt, fällt mir stets ein, wenn ich eine bestimmte Art von Frauenstimme höre, die in letzter Zeit häufiger geworden zu sein scheint, eine gepresste, ja gequetschte, auf jeden Fall grell und unwarm klingende Stimme, die wahrscheinlich auf den Genuß falscher Vorbilder zurückzuführen ist. Junge Frauen, die, und sei es auch nur insgeheim, so sein möchten wie etwas Heidi Klum, Paris Hilton oder Verona Poth, gelingt es oft in erschreckender Weise, zumindest wie diese zu klingen. Sie sägen ihre Worte regelrecht in die wehrlose Luft. Unter reiferen Damen ist diese stimmliche Disposition seltener anzutreffen, sie scheint sich mit den Jahren wegzuleiern. Ich möchte gewiss niemanden tadeln, nur weil er nicht wie Christian Brückner klingt, möchte auch kein Gender-Süppchen kochen, aber eines ist doch auffällig und daher bedenkenswert: Bei Frauen, die in Wirtschaft und Politik gehobene Positionen einnehmen, findet sich die beschriebene Quetschstimme nie. Zwar haben nicht alle Politikerinnen so angenehme Stimmen wie Angela Merkel oder Ursula von der Leyen, aber so richtig fies greinend klingt keine. Der Knäkentensound scheint somit ein richtiger Karrierehemmer zu sein wie sonst nur weiße Fingernägel oder Jeans mit bestickten Gesäßpartien. Nun, benachteiligende Hosen kann man an Bedürftige weiterreichen, aufstiegsundienliche Fingernägel abbrechen, wegkauen oder mit Pflaster umwickeln, aber wie wird man der stimmlichen Missverhältnisse Herr? In den seltensten Fällen müßte operiert werden, in den meisten Fällen würden ein paar Besuche beim Logopäden ausreichen. Ein großes Problembewusstseins in Fragen des Redeklangs scheint jedoch nicht zu bestehen, selbst in den Weiten des Internets findet sich kaum etwas über die Therapie stimmlich fehldisponierter junger Damen. Wie es so oft ist: Ein hochinteressantes Thema, und man hat mal wieder keinen Menschen mit dem man darüber reden kann.

Da traf es sich nicht schlecht, daß ich neulich nach fast vierzig Jahren ein ehemaliges Mädchen wiedertraf, eine Klassenkameradin, die in eine andere Stadt gezogen ist, als wir in der Siebten waren. Sie war damals ein modisch freches Teenage-Girl mit Migrationshintergrund, jetzt geht sie höchst erfolgreich einer seltsamen Berufstätigkeit nach. Wie der Beruf heißt, weiß ich gar nicht, wahrscheinlich irgendwas mit »Consulting«. Sie fährt durchs Land, besucht Unternehmen, nimmt das Personal ins Visier und teilt der Geschäftsleitung mit, welche Mitarbeiter sie behalten könnte und welche man lieber entlassen sollte. Mit denen, für dessen Verbleib sie sich ausspricht, führt sie anschließend Einzelgespräche, in denen sie den Mitarbeitern sagt, daß sie falsch sitzen, falsch gehen, falsch sprechen, falsch gucken, falsch lachen und sich falsch kleiden. Ein wahrer Horrorberuf also, doch die alte Kameradin übt ihn gerne aus und daher sicher gut. Ich dachte: Fein, so habe ich endlich eine Ansprechpartnerin gefunden zum Thema »Entenstimmenphänomen«.

Mit dem Begriff »Entenstimmenphänomen« bin ich übrigens keineswegs zufrieden, er ist eine lächerlich und verharmlosend klingende Notlösung, da ich keinen Logopäden kenne, den ich um einen seriösen Fachbegriff bitten könnte, und ich bin auch kein Journalist, der dreist irgendwo anruft und fragt: «Wie heißt’n das, wenn Frauen so quäken?« (»Hyperfunktionelle Dysphonie«), bekäme man zu hören.) Die alte Kameradin führte aus, daß sie bislang nicht mit Logopäden zusammengearbeitet habe, auf jeden Fall sei die Stimme ein Problem, auch bei Männern, die bisweilen zum Dröhnen neigen, aber doch viel häufiger bei Frauen. Meine Vermutung, daß das beschriebene Stimmproblem bei beruflich höher gestellten Frauen nicht vorkomme, sei jedenfalls richtig. Ich fragte nun, an was es denn ihrer Erfahrung nach liege, daß Frauen auf der Karriereleiter so häufig auf den mittleren Sprossen eindösen. Der Glaube an die These, daß allein uralte Männerbünde und verkrustete Strukturen dafür verantwortlich zu machen seien, sei doch weithin am Schwinden. Da sprach die alte Kameradin, Hauptursache für die schwächliche Karriereperformance von Frauen sei mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit, in eine vernünftige Business-Garderobe zu investieren.

Diese deutliche Ansage verblüffte mich etwas, zumal meine Gesprächspartnerin keineswegs das zu sein schien, was der grobe Volksmund eine »Zicke« nennt, und gewiss auch keine Fürsprecherin öder Gouvernantenblusen, sondern eine Frau mit Fachverstand und klarem Sinn. Es sei schon vorgekommen, sagte sie, daß weibliche Betriebsangehörige in Tränen ausbrachen, nachdem sie ihre Jeans zur Sprache brachte. Einmal sei sie sogar tätlich angegriffen und eine Stilpolizistin gescholten worden. Oh ja, die Jeans! Noch nicht häufig werden sie als gesellschaftliches Problem gesehen. Es müßte einmal versuchsweise die Parole ausgegeben werden: »Wer Jeans trägt, wird schlechter bezahlt!« Die Kostümbildnerin der wegen ihrer gutgekleideten Figuren gefeierten Fernsehserie «Mad Men« äußerte im Interview die Befürchtung, es würden bestimmt noch dreißig Jahre verstreichen, bis die Welt endlich aus ihren verdammten Jeans herausfindet. Warum aber glauben erwachsene deutsche Frauen, sie könnten in knallengen Sexy-Jeans und Glitzerschuhen im Wirtschaftsleben reüssieren? Weil sie ihr Frausein nicht kaschieren wollen! Weil sie im Fernsehen immerfort aufgemotzte Moderatorinnen sehen und nicht wahrhaben wollen, daß Fernsehen und Entertainment die einzigen Sphären sind, wo man in solch einen Aufzug Karriere machen kann! Weil sie nicht wissen, daß »sexy» das neue »spießig» ist! Und auch weil es vorkommen kann, daß bestimmte Sorten von Menschen, denen seit Jahrzehnten gepredigt wird, wie stark und rundum großartig sie sind, Schwächen in Bezug auf die Selbstwahrnehmung entwickeln.

Eine ältere Berliner Uni-Professorin erzählte einmal zu vorgerückter Stunde, daß sie manchmal aus den Socken fahren könnte, wenn sie sähe, wie manche Studentinnen, den Kopf auf die Hand gestützt, dasäßen und an ihren Schreibwerkzeugen herumknabberten. Manchmal würde sie am liebsten zu einer von denen an den Platz gehen, ihr den Stift entreißen und rufen: »Nächstes Mal bringe ich Ihnen einen Schnuller mit!«

Es sollte sich jeder zur Selbstprüfung bereite Mensch einmal vor den Spiegel stellen und sich mit einem Kugelschreiber die Lippen beklopfen, um den Stift anschließend kauend und lutschend zu traktieren. Dann frage ein jeder sich: »Sehe ich aus wie eine vom Geschäftsleben dringend benötigte Autoritätsperson oder eher ein bisschen dämlich?«

Ebenso sollte man, an einem Wintertag etwa, einen großen Schneiderspiegel auf die Straße tragen, sich vor ihm stellen, eine Zigarette rauchen und sich fragen: »Wie sehe ich aus, wenn ich an der frischen Luft rauche?«. Man sieht auf den städtischen Bürgersteigen überall die jungen Damen aus den Arzt- und Anwaltspraxen dick eingemummelt ihre Rauchpausen erledigen. Was wird da nicht gefröstelt und gebibbert! Sie trippeln und tänzeln um sich etwas wärmer zu machen, und ihre Blicke sagen: »Ach wir armen Hascherl, wie schlimm es ist hier draußen zu rauchen! Kann nicht jemand eine Kamelhaardecke um uns legen?«.

Der Betrachter solcher Szenen fragt sich: Wenn sie so erbärmlich frieren, warum stellen sie sich dann auf die Straße?

Die Chefin steht nicht auf der Straße und raucht. Sie verzichtet auf Rauchpausen. Und wenn sie doch einmal Rauchen geht, dann verzichtet sie auf demonstratives Frieren.

(Meine hiermit provisorisch zu Ende gebrachte Story möchte ich übrigens als in einem vernünftig abwiegenden Sinne feministisch verstanden wissen.)

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